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Kora´s Vermächtnis oder: die Wiesenliebe, der Herzensacker und die Vision einer nährenden Dorfgemeinschaft

Aktualisiert: 7. März





 In der Nacht, nachdem Kora ihren Körper verlassen hatte, schickte sie mir eine Nachricht:

"Vertraue, und gehe deinen Weg weiter."




Dies schrieb ich einen Monat nach Koras Tod. KoraMotte war nicht nur die Leitstute unserer Herde und mein erstes Pferd, sie hat auch mein Leben tief beeinflußt, genau wie ich das ihre. Am 21.12. 2021 hatte sie eine schwere Kolik und am 23. Dezember mußte ich sie schweren Herzens gehen lassen. Sie war 19 Jahre alt und ihr plötzlicher Tod war ein Schock für mich.

Dass Kora mein Leben sehr berührt hat, war mir immer klar, aber wie sehr sie mich auch in den Jahren nach ihrem Tod noch geleitet und mich auf eine Spur zurück zu mir selber gebracht hat, fange ich erst an, wirklich zu begreifen. Ein langer Weg der Bewußtwerdung, den sie durch ihren so plötzlichen Tod, der mich völlig überraschend traf, möglich gemacht hat. Sie hat eine Tür aufgestoßen, durch die ich, zugegeben, niemals freiwillig gegangen wäre, denn die Angst schien übermächtig.

Ihr Tod war nur die Spitze des Eisberges, die Urwunden saßen viel tiefer.

Doch von alldem ahnte ich damals nichts.


In der letzten Nacht, die ich mit Kora verbrachte, als wir beide schon wußten, dass sie sterben würde, da stand sie mit mir auf unserem Land, den Blick auf den Hügel des Nachbarackers gerichtet. Es war eine eisige, sternenklare Nacht, kurz vor Weihnachten. Wir standen dicht nebeneinander in der Stille der Winternacht und schauten beide in Richtung des Hügels, wo alljährlich ab Frühjahr der Mais angebaut wurde.

Doch plötzlich sah ich nicht mehr den halb verfallenen Jägeransitz auf der Hügelkuppe, nicht die offene, verwundete, brachliegende Erde, denn Kora nahm mich mit auf eine Reise: eine Reise in eine blühende Landschaft, die sich immer weiter ausdehnte, eine Landschaft, die heil und kraftvoll war und diese Heilung und Kraft an alle Wesen schenkte, die mit dem Land in Verbindung waren. Es gab vereinzelt Büsche und Bäume, die Wiese war voller Leben und Vielfalt und ich konnte sehen, wie Pferde über den Hügel hinunter ins Tal galloppierten.

Es waren starke und kraftvolle Bilder und ich war so berührt, dass mir die Tränen kamen. Kora und ich standen lange so beieinander und die Bilder flossen durch jede meiner Zellen, bis in meine Seele hinein.

Irgendwann war der Zauber vorbei und ich bemerkte die Kälte der Nacht, spürte Kora neben mir und der tiefe Schmerz über den drohenden Verlust war wieder ganz präsent und überwältigend.

Doch diese Nacht hat rückblickend mein Leben verändert, es auf eine ungeahnte Tiefe gebracht, von der ich damals noch nichts ahnen konnte, denn dafür war der Schmerz zu groß. Ich habe Jahre gebraucht, die Ereignisse für mich zu sortieren, mir selber und dem, was damals geschehen ist, auf die Spur zu kommen und Kora´s riesiges Geschenk und Vermächtnis sehen und annehmen zu können.



der erste Sommer mit dem Herzensacker



Wenn ich heute meine Augen schließe und an dieses Land denke, dann kann ich die Bilder wieder sehen: wie es sich ausbreitet in alle Richtungen, ein Blütenmeer bis zum Horizont. Das gesamte Land atmet auf, es ist frei und es schenkt diese tiefe Freiheit allen Wesen, die sich von ihm berühren lassen.

Und ich staune, wieviel sich in diese Richtung schon realisiert hat innerhalb der vier Jahre, seitdem Kora nicht mehr körperlich bei uns ist.

Eines morgens nach einer stürmischen Nacht wußte ich schon beim Aufwachen, dass der baufällige Jägeransitz auf der Hügelkuppe zusammengebrochen war und als ich hin ging, sah ich, dass die Kanzel heruntergestürzt war. Die Leiter, die eigentlich auf die Kanzel führte, geht seitdem ins Leere. Ein schönes Bild für das Neue, dass entstehen darf.

Den Acker, dieses verwundete Land, auf dem sechs Jahre hintereinander Mais für die Biogasanlagen angebaut wurde, konnten wir wundersamerweise, nur ein halbes Jahr nach Kora´s Tod, pachten - momentan bis September 2027. Das war alles andere als selbstverständlich, denn es ist öffentliches Land, von der BVVG verwaltet und wir haben, neben vielen anderen Schritten zur Realisierung unseres Vorhabens, einen landwirtschaftlichen Betrieb gründen müssen, die Wiesenliebe GbR. Das hat uns alles sehr herausgefordert, doch jedes Mal, wenn wir dachten, wir scheitern, gab es eine wundersame Wendung, oftmals in Form von Fürsprecher*innen in diversen Ämtern für unser Projekt.

Den Acker nennen wir liebevoll Herzensacker, denn er liegt uns sehr am Herzen und wir fühlen uns diesem Land sehr verbunden.

Der Herzensacker erblühte im ersten Sommer voller wilder Ackervergißmeinnicht und Mohnblumen und es war ein vielfältiges Summen und Brummen von unzähligen Bienen und Hummeln zu vernehmen, wenn ich morgens früh auf dem Land saß und den Tag begrüßte.

Es grenzt für mich an ein Wunder, dass die Herde schon im zweiten Sommer über den Herzensacker ziehen konnte, weil der Aufwuchs so vielfältig war. Viele Schmetterlinge waren dort unterwegs, darunter Schachbrettfalter und Schwalbenschwanz und neben unzähligen Rauchschwalben und vielen Fledermäusen, konnte ich auch eine Schwarzkehlchen Familie mit ihrem flügge gewordenen Nachwuchs beobachten.

Nun hat sich herausgestellt, dass diese Fläche, sowie die angrenzende Ackerfläche auf der anderen Seite unserer schon bestehenden Wiese und auch eine dritte Ackerfläche hier im Dorf, zum Flächenpool des Nationalen Naturerbe gehören. Diese Flächen sollen in Zukunft an eine Naturschutzstiftung überschrieben werden und deshalb befürwortete das Landesamt für Umwelt Brandenburg unser Vorhaben auf dem Herzensacker. Wann die Überschreibung stattfindet, ist allerdings angesichts der politischen Situation ungewiss, aber dieser Umstand lässt trotzalledem die Bilder von großflächigen artenreichen Wiesen- und Weidelandschaften plötzlich noch viel realistischer erscheinen.

Um weitere Schritte in diese Richtung gehen zu können, bilden wir uns stetig weiter: während einer Agroforst Weiterbildung haben wir einen vorläufigen Pflanzplan für den Herzensacker entwickelt, so dass eine eßbare Landschaft entstehen kann, mit vereinzelt Wildbeeren Sträuchern und Obstbäumen, die Mensch und Tier Nahrung bietet. Umsetzen dürfen wir diesen Plan zur Zeit noch nicht, da es bislang keine Handhabung für Dauerkulturen auf öffentlichem Pachtland gibt.

Außerdem nehmen wir zurzeit an einer Weiterbildung zur ganzjährigen Weidehaltung von Rindern und Pferden teil.

Wir wissen nicht, wohin uns dieser Weg führt, aber die Vision tragen wir in unseren Herzen und ich vertraue darauf, dass der Herzensacker in unserer Obhut bleibt, weiter regeneriert und voller Vielfalt erblüht.



der zweite Sommer mit dem Herzensacker




Doch kein nachhaltiger Wandel im Außen, wenn nicht auch ein tiefer Wandel im Inneren passiert. Und so scheint es rückblickend unausweichlich und selbstverständlich, dass ich nach Koras Tod meinen Blick nach innen richten mußte, um Themen zu klären, die tief in mir drinnen gährten.

Doch das brauchte noch Zeit, denn neben der Trauer gab es unter anderem die Aufgabe im Außen, Lola und Felia, die beiden alten Stuten unserer Herde, bis an die letzte Schwelle zu begleiten. Über ihre Begleitung habe ich in dem Artikel Über Abschiede geschrieben.

Es war emotional und körperlich eine herausfordernde Zeit, zumal auch Wieland´s Eltern im selben Jahr gestorben sind.


Nach all diesen Abschieden war und ist es eine wunderbare Kraftquelle, dass Ankaara und Merlin neu in die Herde gekommen sind. Die Entscheidung, überhaupt wieder neue Pferde dazuzunehmen, nachdem drei von insgesamt fünf Tieren innerhalb eines dreiviertel Jahres gestorben waren, war ein Prozeß, der auch durchlebt werden mußte und es stellte sich als absolut richtig und stimmig heraus. Merlin und Ankaara haben so viel Energie, Neugierde und Lebensfreude eingebracht, dass es nicht nur für mich und Wieland, sondern auch für Hannah und Apache, die beiden Tiere der "alten" Herde, heilend war und immer noch ist. Eine wundervolle Pferdegemeinschaft, von der ich ein Teil sein darf, ist so zusammen gekommen.






Ich war von Anfang an sehr glücklich mit dieser Herde und doch gab es diesen Schatten, der über allem lag: es ging mir körperlich nicht gut, ich fühlte mich zunehmend erschöpft und ich konnte auch zwei Jahre nach Koras Tod nicht darüber sprechen, ohne von einer tiefen Trauer überwältigt zu werden.


Im Oktober 2023 nahm ich an einer Weiterbildung zum Thema Kollektives Trauma teil. Es ging u.a. um unseren Umgang als Gesellschaft mit Nicht-Menschlichen Wesen und den Zustand der Natur als Ausdruck unserer Traumatisierung. Diese Themen haben mich sehr angesprochen und mich dazu gebracht, mich zum ersten Mal ganz bewußt dem Themenfeld Trauma zuzuwenden. Rückblickend war dies mein Türöffner, um mich überhaupt dem Thema des persönlichen Traumas anzunähern. Bis zu dem Seminar war ich davon überzeugt, dass mich zwar der Zustand der Welt tief traurig macht, dass ich persönlich jedoch nicht traumatisiert bin. Doch innerhalb des geschützten Raumes war für mich Kora´s Tod und die tiefe Trauer, die er in mir auslöste sehr präsent. Ich fragte die Heilpraktikerin und Traumatherapeutin, die Teil des Leitungsteams war, ob diese überwältigende Trauer ein Zeichen von tieferliegender Traumatisierung sein könnte und sie sagte mir, dass nur ich das herausfinden könne und dass es sinnvoll wäre, mir dazu Unterstützung zu holen.


Drei Monate später sass ich in ihrer Praxis und seitdem sind mir viele lange zurückliegende, unverarbeitete Verletzungen bewußt geworden, aus diesem und aus früheren Leben. Entwicklungstrauma, Schocktrauma, transgenerative Traumata - ich ging auf eine weite Reise, begleitet von der Heilpraktikerin und mit Zuhilfenahme verschiedenster Körpertherapieformen. Auch durch die Teilnahme an einer Visionssuche im letzten Sommer, die hier auf unserem Hof und im angrenzenden Wald stattfand, durch viele berührende Medizinwanderungen, das Legen eines Medizinrades auf dem Herzensacker, Aufstellungsarbeit und weitere Rituale und Prozesse bekam ich ein immer tieferes Verständnis von mir und meinem Sein in der Welt, konnte mehr und mehr verlorene Anteile einsammeln und integrieren.

Bei all dem wies mein Körper mir den Weg. Es blieb mir oftmals nichts anderes übrig, als mich von ihm leiten zu lassen und mich dem Prozeß hinzugeben: zeitweise konnte ich nur unter großen Schmerzen gehen, da meine Muskulatur in den Oberschenkeln völlig verkrampfte, dazu kam die Diagnose Hüftarthrose und chronische Entzündungen in verschiedenen Gelenken, deren Ursachen noch nicht geklärt sind. Die Schmerzen waren meine täglichen Begleiter - und können bis heute in Schüben auftreten.

Durch jahrzehntelangen Dauerstreß - denn Trauma verursacht Streß im Nervensystem- war der Zustand meines Darmmikrobioms so im Ungleichgewicht, dass die Ausscheidungen der Bakterien mich selbst vergifteten, so dass meine Muskulatur nicht mehr arbeiten konnte und selbst mein Gehirn beeinträchtigt wurde: ich war dauerhaft erschöpft, konnte mich nur unter Schmerzen bewegen und mein Denken war wie vernebelt.


Ich las sehr viel über Trauma, nahm an Seminaren online und in Präsenz teil und bekam mit der Zeit ein immer komplexeres Bild von dem, was persönliche und transgenerative Traumata, die ungelöst sind, in Körper und Geist bewirken. Ich verstand, dass unsere Gesellschaft von Trauma durchdrungen ist: in der Kindheit nicht gesehen und gehört worden zu sein, ist wohl eines der meistverbreiteten Entwicklungstrauma in unserer Leistungsgesellschaft.

Trauma erzeugt Streß im Nervensystem und wird im Körper abgespeichert. Das Trauma ist dann sozusagen in den Zellen eingeschrieben und dieser Umstand kann auch an die nächsten Generationen weitergegeben werden, solange das Trauma nicht integriert wird. Das gestreßte Nervensystem wird so zum Dauerzustand. Der Körper kann jahrzehntelang immer noch funktionieren, aber es ist eine Frage der Zeit, welches Ereignis das Körpersystem zum kollabieren bringt - und bei mir war der Auslöser Kora´s plötzlicher Tod.


Während dieser herausfordernden Zeit, fühlte ich mich jedoch immer geleitet und behütet: ich war jetzt bereit, mir alles anzuschauen. Ich hatte genügend Ressourcen und Unterstützung im Inneren wie im Aussen, um diesen an vielen Stellen mühsamen Weg zu gehen und ich ging diesen Weg nicht alleine.






Der Heilungsweg im Inneren bietet auch immer Heilungschancen im Außen, denn was im Inneren bewegt und geheilt wird, dient der Welt.

So haben Wieland und ich uns im Zuge der persönlichen Heilungsarbeit auch intensiv mit unserem Dorf beschäftigt. Denn auch Lebensorte sind nicht zufällig gewählt: etwas bringt uns dazu, uns an diesem Ort niederzulassen für längere oder kürzere Zeit und jeder Ort bietet persönliche Erfahrungs- und Heilungschancen, die auch der Welt dienen. Über systemisch- somatische Aufstellung, innere Reisen, Träume, Energiearbeit und geomantische Herangehensweisen wurden uns so berührende Geschichten ins Bewußtsein gebracht, auch aus längst vergangenen Zeiten.

So ist die alte Pflasterstrasse, die durch unser Dorf führt und die zwischen einigen Dorfbewohnern über Generationen Streit und Hass schürt, von Kriegsgefangenen der Napoleonischen Befreiungskriege gebaut worden. Es stellte sich heraus, dass hierdurch noch sehr viele Seelen umherirrten, die eine unglaublich schwere Energie erzeugten. Mit Unterstützung zweier Geomant*innen errichteten wir zwei energetische Lichtsäulen im Dorf, durch die diese Seelen nach so langer Zeit endlich die Möglichkeit hatten, aufzusteigen.


Kurz nachdem wir diese Lichtsäulen energetisch gestellt hatten, träumte ich sehr intensiv und ein Traum war für mich der Schlüssel zum Verständnis für die tiefe Trauer, die Kora in mir ausgelöst hatte:

Es war Krieg und ins Dorf kamen viele Flüchtlinge. Die Menschen waren ausgezehrt und litten an Hunger. Da kam ein elfjähriger Junge ins Dorf, er war alleine und sehr hungrig. Plötzlich sah ich im Traum, dass er an der Kastanie vor dem Nachbarhaus erhängt worden war von aufgebrachten Dorfbewohnern, weil er angeblich Nahrungsmittel gestohlen hatte.

Er hing eine ganze Nacht dort, alleine, vergessen. Niemand schien um ihn zu trauern oder ihn zu vermissen.

Früh am nächsten Morgen kam eine junge Frau ins Dorf, sie war die Mutter des Kindes und als sie ihren Jungen dort hängen sah, rieß ihr die tiefe Trauer das Herz aus der Seele.

Und noch im Traum wurde mir bewußt: ich bin diese Frau und Jozef, der elfjährige Junge, war mein Sohn. Wir hatten uns auf der Flucht einige Tage zuvor voneinander trennen müssen und nun lag er tot in meinen Armen.

Als ich aufwachte aus diesem so klaren Traum, hatte ich die Antwort auf die Frage, warum mir Koras plötzlicher Tod so nahe ging: es war die Erinnerung an diesen tiefen Schmerz in einem vorherigen Leben, die Kora in mir berührt hatte.

Nun war ich bereit, diesen Schmerz anzuschauen, den Verlust zu betrauern und zu integrieren.

Die riesige Kastanie vor dem Nachbarhaus fiel im letzten Sommer an einem windstillen, warmen Tag mit einem dumpfen Krachen einfach in sich zusammen.







An einem milden Tag im Januar diesen Jahres fuhren Wieland und ich zur, nur eine Stunde von unserem Wohnort entfernten, Mahn- und Gedenkstätte KZ Ravensbrück. Dieser Ort, an dem von 1939 bis 1945 etwa 120.000 Frauen und Kinder, 20.000 Männer und 1.200 weibliche Jugendliche als Häftlinge registriert wurden aus über 30 Nationen und an dem zehntausende ermordet wurden - exekutiert und vergast - oder an Hunger, Krankheit oder medizinischen Experimenten starben, ist ein Ort des Grauens - und heute zugleich ein Ort des Gedenkens und Erinnerns.

Wir verbrachten Stunden auf dem Gelände, sind tief in das Grauen des Ortes und die Schicksale der Menschen, die hier inhaftiert, gefoltert und getötet wurden, eingetaucht und haben auch versucht, uns der Motivation und Biografien der Täter*innen anzunähern. Zum Ende des Tages haben wir auf dem Parkplatz im Auto eine Kakao Zeremonie abgehalten und eine Meditation zur Ahnen Heilung für die Opfer und die Täter*innen, die auch unsere Ahnen und Ahninnen sind. Das war für uns ein sehr wichtiger und berührender Schritt, um das Erlebte des Tages zu integrieren und in die Heilung zu bringen. Unsere Hoffnung ist, dass wir dadurch ein Stückchen zur Heilung unserer Beziehungen und somit zur Heilung der Welt beigetragen haben.


Einige Tage später besuchten wir die Gedenkstätte Todesmarsch im Belower Wald. Hier in diesem Waldstück nahe Wittstock/Dosse wurden vom 23. bis zum 29. April 1945 mehr als 16.000 Häftlinge zusammengezogen, die die SS bei der Räumung des KZ Sachsenhausen auf einen Todesmarsch geschickt hatte: völlig unzureichend gekleidet und ernährt und von der KZ-Haft geschwächt, schleppten sich die Häftlinge unter den Augen der Bevölkerung durch Nordbrandenburg und Mecklenburg. Täglich mussten sie bis zu 40 Kilometer bei nasskaltem Wetter marschieren und in überfüllten Scheunen oder unter freiem Himmel übernachten.Sie lagerten ohne Unterkunft und Versorgung im Wald, mit Stacheldraht umzäunt und von einer SS-Postenkette bewacht. (zitiert von der Webseite der Gedenkstätte).

In dem Waldstück, dass nun zur Gedenkstätte gehört, kann man bis heute Spuren, die die Häftlinge hinterlassen haben, an den Bäumen sehen: abgeschabte Rindenstücke, Zeichen und Zeichnungen, die in die Rinde geschnitzt wurden. Hier in diesem Wald zu sein und sich in Kontakt mit einem Baum zu begeben, der die Situation damals erlebt hat, war zutiefst berührend und zugleich erschreckend, denn mir wurde bewußt, dass auch ich damals höchstwahrscheinlich einfach nur zugeschaut hätte, während diese Menschen auf dem Todesmarsch an mir vorbei zogen.

Und auch diese Einsichten, diese Hinwendung ist Heilungsarbeit - für mich und für die Welt.






Bei all dieser Beschäftigung mit Traumata im kollektiven und persönlichen Feld, geht es immer wieder darum, Räume der Erholung, Integration und Entspannung zu schaffen. Zu lernen, mein dysreguliertes Nervensystem auch in meinem Alltag wieder in die Balance zu bringen, ist ein langer Lernprozeß und braucht vor allem viel Zeit und Hinwendung, Selbstannahme und die Bereitschaft, alte Muster zu hinterfragen. Auch meinen Körper mit ausreichend Mineral - und Mikronährstoffen zu versorgen, damit er seine Depots wieder auffüllen kann, ist Teil der Selbstfürsorge.

Bei einer Kakao Zeremonie, an der Wieland und ich während der letzten Rauhnächte teilnahmen, konnte ich deutlich spüren, wie tief meine Sehnsucht nach einer nährenden Gemeinschaft ist.

Im Frühjahr und Sommer praktizieren wir solche Art Gemeinschaft hier auf dem Hof durch die Seminare, die hier stattfinden, denn auch im Gästebereich hat sich in den letzten Jahren, seit Kora nicht mehr bei uns ist, sehr viel entwickelt. Doch diese Sehnsucht nach Gemeinschaft, die ich während der Kakao Zeremonie spürte, war anders und neu für mich und plötzlich bekam ich eine Vision davon, dass unser Dorf sich zu solch einer Gemeinschaft wandeln könnte.

Was es dazu braucht, ist ein Umfeld, in dem Integration und Heilung möglich ist, in dem ich in meiner Ganzheit gesehen und gehört werde und auch mein Gegenüber ganzheitlich wahrnehmen kann: eine traumasensible Gemeinschaft, die ein nährendes und sich gegenseitig unterstützendes Netz webt, in dem jede und jeder sich einbringt und so zu einem Geschenk für die Welt werden kann.


Zugegeben: davon sind wir momentan hier im Dorf noch weit entfernt, aber wenn ich zurückschaue und wahrnehme, was in den letzten Jahren alles gewandelt wurde hin zu einem achtsameren Miteinander-Sein, dann macht mir das Mut. Es wird sich in den kommenden Jahren noch vieles wandeln und dazu möchte ich Wegbereiterin sein: für diese neue Zeit, in der wir zum Wohle aller Wesen miteinander leben.






Kora hat mir durch ihren pötzlichen Tod ein Tor geöffnet und ich bin ihr unendlich dankbar für den Weg und all die Erfahrungen, die sie mir dadurch möglich gemacht hat.

Auch Wieland bin ich zutiefst dankbar, dass er, selber auf dem persönlichen Heilungsweg, gemeinsam mit mir Visionen in die Welt webt.


Ich weiß nicht, ob es jemals diese großen artenreichen Weideflächen hier geben wird, ob ich ganz schmerzfrei sein werde und mein Körper komplett regeneriert. Genauso wenig weiß ich, ob wir jemals in einer sich gegenseitig unterstützenden und nährenden Dorfgemeinschaft, der das Wohl der menschlichen und mehr-als-menschlichen Wesen am Herzen liegt, leben werden. Auf diesem Weg gibt es keine Garantien für die Erfüllung der Visionen - und doch weiß ich, dass alles miteinander verwoben ist, nichts passiert unabhängig voneinander und alles beeinflußt sich gegenseitig. Ganzheitliche Heilung ist ein vielschichtiger Prozeß und jeder Schritt auf diesem Weg möchte erfahren, durchdrungen und integriert werden.

Und so nehme ich die Geschichtenstränge und flechte sie zu einem Zopf, voller Vertrauen und Dankbarkeit und in dem Wissen darum, dass Körper, Geist und Seele eine Einheit bilden. In dem Wissen darum, dass meine Regeneration, die des Landes, die des Dorfes und folglich auch die Regeneration all unserer Beziehungen miteinander verwoben sind, räuchere ich mit einem Zopf aus Mariengras, der das Haarkleid von Mutter Erde symbolisiert und vertraue dem Prozeß.

Ich werde meinen Herzensweg weiter gehen, so, wie Kora es mir in der Nacht nach ihrem Tod übermittelt hat, wo auch immer mich dieser Weg hin führt.


Auch wenn es manchmal schwierig ist, die Vision von einer schöneren Welt, die unser Herz kennt, wie der Philosoph Charles Eisenstein es so schön ausdrückt, zu nähren und nicht die Hoffnung und den Glauben daran zu verlieren, etwas gibt mir Kraft, Mut und Zuversicht: es ist das Wissen darum, dass wir viele sind, die Visionen in die Welt bringen, die ein anderes Miteinander schon jetzt erforschen und leben.

Je heller das Licht, desto mehr Schatten will gesehen und integriert werden.

Das ist Arbeit, es braucht Hinwendung, Zeit, Mut, Ausdauer und Hingabe und es braucht Räume der Erholung, des Kraft-tankens, des Austauschs und der Unterstützung.


Der Wandel wird kommen, wir sind schon mittendrin. Also lasst uns gemeinsam eine Welt gestalten, in der wir leben wollen.

Eine Welt, in der ein nährendes, wohlwollendes und sich gegenseitig unterstützendes Miteinander mit der menschlichen und mit der mehr-als-menschlichen Gemeinschaft gelebt wird. Eine Welt in der unsere Beziehungen geheilt sind und wir gemeinsam mit allen Wesen ko-kreieren.



































 
 
 

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