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Patricia Christmann

Über Abschiede

Viele indigene Völker teilen die Auffassung, dass jeder von uns eine besondere Gabe, eine einzigartige Fähigkeit hat. Wie die Vögel den Gesang und die Sterne das Funkeln. Doch haben diese Gaben für sie eine doppelte Natur: Jede Gabe ist zugleich eine Verantwortung, eine Aufgabe. Wenn der Vogel die Gabe des Gesangs hat, ist es seine Aufgabe, den Tag mit Musik zu begrüßen. Es ist die Pflicht der Vögel zu singen, und wir übrigen empfangen ihren Gesang als Geschenk. Die Frage nach unserer Verantwortung ist vielleicht auch die Frage nach unserer Gabe.

Robin Wall Kimmerer, Geflochtenes Süßgras


Manchmal sagen Menschen, dass sie sich von meinen Geschichten berührt fühlen, weil ich durch Worte Bilder male, die das Herz öffnen.

Wenn es stimmt, was Robin Wall Kimmerer schreibt, dann ist es nicht nur meine Gabe, sondern auch meine Aufgabe, zu schreiben - auch wenn es mir nicht leicht fällt, weil manche Themen schwer sind und es eine Herausforderung ist, sich ihnen zu stellen.

Und doch sind es grade die herausfordernden Geschichten, die das Potential von Wachstum und Lernen für uns bereit halten.


Jeder Abschied stößt die Tür weit auf zu einem neuen Anfang - ob wir dies wollen oder nicht.


Es ist noch nicht ein Jahr her, da lebte ich zusammen mit einer Herde von fünf Pferden. Und obwohl drei von ihnen schon betagter waren und arge gesundheitliche Themen mitbrachten (wir hatten die Mutter mit ihren beiden Töchtern 2014 übernommen, weil sie kein zu hause mehr hatten), dachte ich in meiner Naivität, es könne immer so sein, nichts würde sich ändern und vor allem war ich fest davon überzeugt, dass nichts uns jemals trennen könnte.

Diese Herde war mein zu hause und innerhalb der Herde fühlte meine Seele sich geborgen.

Durch diese Herde konnte ich als Mensch wachsen.

Neben der Liebe zu Wieland war die Liebe und Verbundenheit zu diesen Tieren die wichtigste Stütze in meinem Leben.







Nicht mal ein Jahr später sind von der ursprünglichen Herde nur noch zwei Tiere am Leben.


Was ich erfahren habe ist, dass der Sterbeprozeß eine sehr persönliche Reise ist, dass jedes Tier auf seine sehr eigene Weise gegangen ist. Ich habe, so gut es mir in der jeweiligen Situation möglich war, begleitet und bin unendlich dankbar, dass ich diese Wesen bis an die Schwelle begleiten durfte.


Kora hatte die Größe, mich in ihrem dreitägigen Sterbeprozeß an die Hand zu nehmen, mich zu leiten und mir immer wieder auf ihre unnachahmliche Weise zu zeigen, was als nächstes zu tun war: ob sie mit mir sein wollte, alleine sein oder, ob es nun Zeit war, die Tierärztin anzurufen, um die Spritze zu bekommen. Ich bin rückblickend neben ihr her gestolpert, völlig überrumpelt von den Ereignissen, wohingegen sie ganz klar war, auch bei der Entscheidung, ob sie in eine Klinik wollte oder nicht. (nein, sie wollte nicht).

Kora hat mich vorbereitet auf die Sterbeprozesse, die ihr nachfolgten.


Bei Lola war es umgekehrt: da habe ich alles geregelt, sie wirkte fast wie stur in ihrem Festhalten, obwohl sie gleichzeitig so müde und erschöpft war. Vielleicht hätte sie sich noch mehr Zeit gewünscht, aber die vorangegangenen Monate der intensiven Pflege und ihr immer schlechter werdender Zustand, hatten mich bis an meine Grenze geführt.

Ihre beiden Töchter waren bei ihr als die Tierärztin kam und sie haben ihren Prozeß berührend begleitet. Es war ein langer Weg für sie, doch als ihr Herz aufhörte zu schlagen, sang der Pirol, das war so tröstlich und friedlich.


Und letzte Woche noch Felia.

Morgens hatte ich während der Meditation eine Seelenreise mit ihr gemacht und als es an der Zeit war, zurückzureisen, wieder ganz in den Körper anzukommen, sagte sie mir, dass sie nicht mit zurückkommen wolle.

Als ich kurz darauf zu den Pferden ging, sah ich, dass es ihr körperlich noch schlechter ging als die Tage davor.

Einige Wochen zuvor schon war die Tierärztin da gewesen und wollte sie einschläfern lassen wegen ihres schlechten Zustandes.

Doch ich wußte, sie war noch nicht bereit zu gehen und ich wollte, anders als bei Lola, ihr die Entscheidung überlassen, wann es an der Zeit ist, denn ich hatte mehr Kraft, sie weiter zu begleiten. Innerhalb der darauffolgenden Wochen erholte sie sich auch wieder sehr gut und jeder Tag mit ihr war ein Geschenk.

Am Tag der gemeinsamen Seelenreise kam die Hufbearbeiterin und Felia war erstaunlicherweise bereit für eine Bearbeitung ihrer kranken Hufe. Danach aß sie mit großem Appetit ihr Zusatzfutter und Heu, während die anderen schon auf der Wiese waren.

Ich dachte, sie hätte sich umentschieden und würde doch noch eine Weile bei uns bleiben - oder vielleicht wollte ich das gerne glauben.

Zur Dämmerung kommen die Pferde jetzt im Winterhalbjahr selbständig runter zum Stall, nur Felia fehlte: sie lag oben auf der Wiese und kam nicht mehr alleine hoch.

Wieland und ich halfen ihr und stützten sie, bis sie im Auslauf im Kreise der Herde war.

Wir teilten uns die Nacht auf, um sie zu begleiten.

Am nächsten Morgen mußte ich einsehen, dass sie wirklich gehen würde und ich diesen Umstand annehmen mußte, um sie bis zur Schwelle gut begleiten zu können.

Als die Tierärztin kam, lag sie friedlich mit dem Kopf in meinem Schoß und es brauchte nicht mehr viel, um sie ganz gehen zu lassen.


Diese Sterbebegleitungs Prozesse des letzten Jahres sind sehr intensiv, es ist wie eine Initiation - was es zu bedeuten hat oder ob es überhaupt etwas bedeutet - dies alles weiß ich (noch) nicht.

Aber ich weiß, dass ich zutiefst dankbar bin, für die Präsenz während der Prozesse, das Gefühl von Verbundenheit. Dankbar auch für Wielands Unterstützung in dieser Zeit.


Und vor allem bin ich dankbar für die gemeinsamen Jahre, die ein großes Geschenk sind. Die Erinnerung trage ich in meinem Herzen und die Vision von Amalion, die durch diese Herde entstanden ist, trage ich in die Welt.


Danke Kora, +23.12.21

Danke Lola, +23.06.22

Danke Felia, +12.11.22


Und danke Apache und Hannah, die ihr mutig den Weg mit mir weiter geht.











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