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Patricia Christmann

Wandelzeit

Aktualisiert: 6. Feb.




Sich selber eingestehen, dass eine Hoffnung unbegründet ist, dass es keinen Sinn macht, noch länger auf eine Veränderung zu warten, die durch ein Ereignis erwünscht, ersehnt war. Ein Wandel, der quasi schon zum Greifen nah war und dann doch nicht eintrat.

Sich dieses Scheitern einzugestehen ist kein einfacher Prozeß. Es braucht Ehrlichkeit, genaues Hinschauen und Hinspüren, um die eigene Motivation hinterfragen zu können.


So erging es mir, seitdem das Corona Virus aufgetreten ist.

Ich habe gehofft und gewünscht, dass das Virus auf die Gesellschaft wie ein Weckruf wirkt und dass es uns darin unterstützt, den Wandel, der in so vielen Bereichen nötig ist, anzugehen.

Ich muß gestehen, dass ich zeitweise sogar mit dem Virus sympathisiert habe. Es hat mir imponiert, dass ein Virus schafft, was sonst niemand schafft in unserer Gesellschaft: Stillstand.

Zu Beginn der Pandemie gab es so viel Solidarität zwischen den Menschen und Rücksicht, die Vulnerablen wurden geschützt, es war vielfach ein achtsamer Umgang miteinander.

Auf diesem Boden, auf dieser Verletzlichkeit, konnte Neues wachsen und gedeihen, trotz der Trauer, um die, die gegangen waren.

Auf diesem Boden konnten wir uns ganz neu verwandt machen* miteinander, über die Grenzen der Spezies hinweg.

Das war jedenfalls meine Hoffnung.


Dann kam die Impfung und mit ihr das große Reset: alles auf Anfang, alles wie gehabt, vielleicht noch ein bißchen schneller und mehr, schließlich haben wir so lange verzichtet, jetzt erst Recht!

Dazu noch das Gebären der reichen Länder, die sich erstmal Impfstoff in riesigen Mengen besorgen und dann trotz Überschuss kaum etwas abgeben an arme Länder*, was wieder vor Augen führte: es hat sich nichts geändert!


Ich war enttäuscht, fassungslos! Wie konnten und können wir uns anmaßen, einfach so weiter zu machen, wie bisher? Wie können wir weiterhin die Augen verschließen vor all den Problemen, die wir uns selber geschaffen haben?


Ich wollte nicht wahr haben, dass es keinen Wandel geben würde, jedenfalls noch nicht, nicht durch das Virus.

Ich wollte den Wandel so unbedingt, dass ich mich nicht impfen lassen konnte, sonst hätte ich mir eingestehen müssen, dass meine Hoffnung vergebens war und ich wollte festhalten an dem Glauben, dass wenigstens mein Nicht-Impfen einen Unterschied machte. Nicht weil ich kategorische Impfgegnerin bin, erst recht keine Querdenkerin oder Corona Leugnerin, sondern weil ich so sehr hoffte, es würde sich doch noch etwas ändern.

Doch ich muss mir eingestehen, dass ich mich getäuscht habe. Weiter am Nicht-Impfen festzuhalten ist sinnlos und auch in keinerlei Weise dem Wandel, den ich mir wünsche zuträglich.

Ja, ich lebe auf dem Land, mit mehr Kontakt zu Tieren und Pflanzen als zu Menschen. Wenn möglich finden meine Kontakte mit Anderen draussen statt und die, die zu uns kommen, testen sich in der Regel vorher.

Ich bin auch nicht viel gereist in diesem Pandemie Jahr: eine einzige Reise innerhalb Deutschlands habe ich gemacht.

Ich würde also nicht behaupten, dass ich unverantwortlich mit der Situation umgegangen bin.


Glaubt man den Medien, dann kommt meine Art der Enttäuschung als Impfablehnungsgrund nicht vor: es gibt die Impfgegner, Impfverweigerer aus Angst, Querdenker, Leugner, Verschwörungstheoretiker - männliche wie weibliche und alle anderen Geschlechter-Zugehörigkeiten, aber die Zutiefst-Enttäuschten kommen in keiner Statistik vor. Sie werden nicht benannt, denn dann müßten auch die Medien sich eingestehen, dass ihr System des Schubladen-Denkens nicht zuträglich ist und die Gräben nur noch tiefer werden lässt.

Natürlich sind viele Menschen, die zur Zeit wegen Corona Massnahmen auf die Strasse gehen, enttäuscht. Aber dies ist eine wütende Enttäuschung, die größtenteils keine andere Meinung zulässt und die meines Erachtens auch nicht für einen Wandel hin zu einem Leben zum Wohler aller steht.


Ich habe mich also impfen lassen.

Ich mußte von meinem Wollen loslassen, mir eingestehen, dass es hier nicht darum geht, was ich will, egal wie gerechtfertigt und wichtig ich mein Wollen empfinde, es ist dies nicht die Zeit, daran festzuhalten.

Die Gräben werden zu tief und ich möchte diese Spaltung nicht.

Ich möchte in Kontakt sein, damit wir den Wandel gemeinsam begehen können.

Ich möchte keinen Kampf-Gegen, auch nicht gegen eine Impfung.


Ich wünsche mir sehr, dass wir wieder aufeinander zu gehen können, dass wir wieder in Kontakt kommen und dass wir uns ernsthaft fragen, wie wir MIT unserer lebendigen Erde leben wollen und nicht GEGEN sie.

Mein Wunsch ist es, dass wir zur Ruhe kommen und erkennen, dass Virus, Überschwemmung, Stürme, Hitze, Trockenheit, Artensterben, dass dies alles miteinander zusammen hängt. Und dass wir uns ehrlich eingestehen: die Ursache liegt in der Art und Weise, wie wir Menschen auf Erden leben.

Grade wir Menschen, die wir in reichen Ländern leben, tragen eine besondere Verantwortung in diesem Prozess.


Ich möchte, dass wir Utopien und Visionen entwickeln und kreieren, wie ein anderes, ein lebensförderndes Zusammenleben aussehen kann. Nicht nur für einige wenige, sondern für alle Wesen und für diese lebendige Erde.

Ja, wir dürfen uns verlaufen, unsere Meinung ändern, uns eingestehen, dass wir Fehler gemacht haben. Wir dürfen auch verschiedener Meinung sein, uns streiten - in gegenseitigem Respekt und in Demut vor dem Leben. Niemand kennt den Weg, denn niemand ist ihn vor uns gegangen und unsere Wegweiser sollten immer unsere liebenden Herzen sein.


Mein Wunsch ist es, dass wir die dunkle Zeit, in der wir grade nicht nur physisch, sondern auch im übertragenen Sinne sind, nutzen, um zu träumen und Geschichten zu erzählen.

Geschichten, die uns erinnern, die uns wach rütteln, die uns Hoffnung machen. Heilsame Geschichten, in denen ein gutes Leben für alle Wesen möglich ist und in denen wir als Menschheit erwachsen werden und unseren Platz und damit auch unsere Verantwortung im Kreis des Lebens einnehmen.

Denn erst wenn wir lebendige Visionen kreieren, können wir den Wandel auch leben, getragen von Dankbarkeit und unserer Liebe zu allem Lebendigen.




*sich verwandt machen ist ein Begriff, den Donna J. Haraway in ihrem Buch "Unruhig bleiben" verwendet. Es beschreibt neue Beziehungen, auch jenseits der Menschen, die wir eingehen, um wieder in Beziehung zu treten mit allem Lebendigen.









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